Mens sana in corpore sano

Wem Gesundheit und Wohlbefinden wichtig sind, der wird das Thema „Bewegung“ nicht ausklammern können. Er mag sich noch so gut ernähren, ohne die nötige Bewegung wird ihm ein wichtiger Baustein fehlen, um wirklich gesund zu sein.

Wir Menschen sind für Bewegung gemacht!

Biologisch gesehen haben wir Bewegungs- und Handlungsfähigkeiten entwickelt, um überleben zu können.

In unserer „verkopften“ Moderne mag das wie ein Anachronismus anmuten, aber unser Körper ist unser engster Verbündeter.

Unsere steinzeitlichen Vorfahren waren viel harscheren Umweltbedingungen ausgesetzt als wir das heute sind. Sie brauchten (innere) Systeme, die sofort ansprangen, wenn Gefahr drohte. Es blieb keine Zeit, die Situation rational zu analysieren, wenn sie einer Schlange oder einem Tiger begegneten. Es galt, schnell zu entscheiden und entweder mit Flucht, Kampf oder Totstellen zu reagieren.

Körperliche Sensationen und Erfahrungen waren ihnen dabei dienlich. Instinkte und Gefühle sind ihrem archaischen Ursprung nach Aufrufe zum Handeln. Sie führen dazu, dass der Körper bestimmte Bewegungen ausführt oder bestimmte Körperhaltungen einnimmt, die ihm zur Vorbereitung dieser Bewegungen dienen. Auf diese Weise kann sich ein Organismus selbst schützen, jagen und auch vermeiden, selbst Opfer eines Jägers zu werden.

Aber auch Sensationen wie Hunger oder der Selbsterhaltungstrieb können als Instinkte bewertet werden, die Auslöser für Handlungen darstellen. 

Für unsere Vorfahren war es von immenser Bedeutung, sich seiner körperlichen Sensationen gewahr zu sein. Das Knacken eines Astes, ein verdächtiger Geruch: all das konnten Zeichen einer Gefahr sein. Auch das Bedürfnis nach Nahrung konnte ein Steinzeitmensch nicht ewig ignorieren und die damit verbundenen Aufgaben aufschieben. Derjenige, der nicht fähig war, diese sensorischen Eingebungen wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren, hatte geringere Überlebenschancen.

Es war wichtig, im „Hier und Jetzt“ zu sein.

Wenn der Tod an jeder Ecke lauern kann, dann ist endloses Nachdenken wertlos, während körperliche Präsenz im Hier und Jetzt unbezahlbar ist.

Als der Mensch sich immer mehr zu Gemeinschaften zusammenschloss, wurden diese „Überlebensmechanismen“ immer weniger erforderlich. Der Einzelne musste nicht ständig seine Umwelt dahingehend beobachten, ob von irgendwo Gefahr für ihn drohte oder von wo er seine nächste Mahlzeit erhalten konnte. Zum einen übernahm die Gemeinschaft das für ihn, zum anderen verbesserten sich seine Lebensbedingungen enorm.

Und so entwickelte sich die Achtsamkeit körperlicher Sensationen mehr zu einer sozialen Funktion: Das, was man heute „soziale und emotionale Intelligenz“ nennt.

Das Überleben hing nicht mehr so sehr davon ab, Gefahren zu bekämpfen oder vor ihnen zu flüchten. Vielmehr wurde es wichtiger, dass der Einzelne in der Lage war, seine Position innerhalb der Gruppe zu finden und zu kräftigen. Dazu war es erforderlich, die subtilen Botschaften seines Gegenübers entschlüsseln zu können, die dieser über seine nuancierte Körpersprache vermittelte (Gestik und Mimik) und selbst in der Lage zu sein, die eigenen Impulse zu kontrollieren.

Im sogenannten Zeitalter der „Vernunft“ des mittleren 17.Jahrhunderts, wurde die Rationalität zu neuen Höhen katapultiert.

„Entkörperung“ oder „Disembodiment“ als ausgewiesene Ausprägung dieser Rationalität wurde zur neuen Norm.

Der Einfluss der Kirche verstärkte die Trennung zwischen Körper und Geist noch mehr und bereitete den Weg zu Descartes berühmtem Ausspruch „Ich denke, also bin ich“. Der Körper und die damit verbundenen Empfindungen wurden zu etwas „Unerwünschtem“ degradiert. Chef-Dirigent war fortan der Verstand. Der Körper hingegen nichts Weiteres als das Fortbewegungsmittel für unser Gehirn.

Die Auswirkungen sind – gerade in der westlichen Welt – nach wie vor spürbar:

Die meisten von uns haben den Kontakt zu ihrem inneren Kompass verloren. Wir finden keinen Zugang mehr zu unserer Innenwelt, die durch den Körper und Gefühle repräsentiert wird. Ersatz soll äußere Stimulation bieten: Wir suchen Nervenkitzel, überanstrengen uns, sei es in der Freizeit oder im Beruf. Wir greifen zu Drogen und Alkohol. Vorbei sind die Zeiten, in denen im Kino Filme liefen, deren aufregende Momente spitzfindige Dialogen waren. Kaum ein Film kommt heutzutage ohne überbordende Spezialeffekt und Explosionen am Fließband aus…

Selbst die kleinen Momente, die wir für uns selbst haben, verbringen wir nicht in Ruhe und mit Introspektion. Wir möchten nicht mit uns alleine sein und verspüren den Drang, etwas „tun“ zu müssen. Der Großteil der Menschen verbringt diese Zeiten „online“. Der Chat mit Freunden, das Video, das wir uns auf dem Smartphone anschauen, werden zu „Lückenfüllern“.

Unser Medienkonsum spiegelt dabei nicht nur unseren bemitleidenswerten Zustand der „inneren Gleichgültigkeit“ wieder. Er trägt auch dazu bei, dass wir süchtig sind nach dieser Überstimulation.

Dieser fehlende Kontakt zu sich selbst, der Verlust der Wahrnehmung der eigenen Gefühle und Bedürfnisse, führt zu einer Verzerrung unserer Selbst-Wahrnehmung.

Frauen lassen sich von äußeren Körperbildern leiten, statt auf die eigenen inneren Signale zu hören. Um dem von den Medien propagierten Schönheitsideal zu entsprechen, entwickeln sie Essstörungen. Fressattacken und die folgenden Brechanfälle sind für sie Wege, den Körper zu kontrollieren.

Männer konsumieren Pornographie als Möglichkeit, sich selbst von ihren körperlichen Bedürfnissen und Sensationen zu entfremden.

Und so sind Essstörungen und Pornographie zwei Seiten derselben Medaille: Wege, sich von seinem eigenen Körper abzukapseln. Doch je weniger der eigene Körper als lebende Entität verstanden wird, desto mehr wird er zu einem Objekt degradiert. Er wird zu einem „Beiwerk“, das nur wenig mit dem „Selbst“gefühl eines Menschen zu tun hat.

Viele Sportler sind der Meinung, nicht in die Kategorie dieser Menschen zu fallen. Sporttreibenden attestiert man gerne ein „gutes Körpergefühl“.

Ein Blick in die Fitnessstudios zeigt jedoch oft ein anderes Bild: An Maschinen, meist bei laufendem Fernseher, werden roboterhaft Übungen ausgeführt. Das einzige Ziel ist es, die Muskeln zu stählen oder damit der Wunschfigur ein Stückchen näher zu kommen. Nur selten sind sich die Trainierenden ihrer Tätigkeit wirklich bewusst. Laute Musik und flimmernde Bilder übertönen die inneren Empfindungen.

Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, mehr unserem Verstand denn unserem Körper zu vertrauen. Natürlich wären wir ohne diesen nicht dort, wo wir jetzt sind: wir hätten keine Computer, keine Flugzeuge, keine Smartphones, nicht einmal Fahrräder oder Uhren, wären wir nicht mit einer solch einzigartigen Fähigkeit, rationale Denkleistungen zu erbringen, ausgestattet.

Und doch laufen wir Gefahr, dass uns das gleiche Schicksal ereilt wie einst Narziss. Dieser verliebte sich in sein Spiegelbild, dessen Reflektion er in einem Teich erblickte. Er verlor seinen Platz in der Welt, da er nur noch damit beschäftigt war, verzückt sein Spiegelbild zu betrachten. Haben wir uns in eine Reflektion unserer Selbst verliebt, indem wir uns nur noch mit unseren Gedanken, unserem idealisierten Bild von uns Selbst identifizieren können?

Ohne Zugang zu dem empfindlichsten Teil unseres Selbst – unserem Körper und unseren Gefühlen – verlieren auch wir den Kontakt zur Welt und zu unserer eigenen Natur.

Doch wir sind Teil dieser Natur. Zum Teil bestehen wir in Form von Instinkten und Begierden gerade daraus.

Wir können den Körper nicht als Ding, nicht als bloße Ansammlung chemischer Elemente betrachten. Selbst der Physiker und Nobelpreisträger Erwin Schroedinger kam zu dem Schluss, dass Leben an sich nicht dadurch erklärt werden könne, dass man es auf seine chemischen Bestandteile herunterbreche. Leben sei viel mehr als das.

Denn wer kann schon die Frage, woher man wisse, dass man am Leben sei, rational beantworten? Auch wenn ein schlagendes Herz ein gutes Indiz dafür ist, ist es doch vielmehr ein Gefühl, das uns die Gewissheit gibt, lebendig zu sein.

Wir leben unser Leben MIT unserem Körper und wir ERLEBEN es gerade durch ihn.

Es ist an der Zeit, diese verlorengegangene Verbindung wiederherzustellen.

Das Leben kann nicht nur rational gelebt werden. Wir können es nicht nur als „Problem“ behandeln, das es zu lösen gilt.

Auch wenn wir gerne einfache Erklärungen und Abhilfen für unsere Beschwerden haben wollen. Es ist nicht unbedingt das Alter, das der Grund für unsere Rückenschmerzen ist. Unsere Ignoranz, die eigene Natur zu verstehen und zu akzeptieren, lässt uns diesem Irrglauben anhängen.

Wir schlucken lieber Tabletten oder überlassen das „Problem“ externen Experten wie Ärzten und Chirurgen statt hinter die eigenen Fassaden zu blicken. Denn diese Rückenschmerzen können genauso ein Signal unseres Körpers sein, dass wir Dinge tun, die ihm nicht gut tun: Vielleicht bewegen wir uns zu wenig oder gar falsch.

 

Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe als in deiner besten Weisheit.“ – Friedrich Nietzsche

 

Unsere Psyche lebt in unzertrennbarer Einheit mit unserem Körper. Viele Entscheidungsprozesse laufen nach wie vor von „unten nach oben“ ab: nicht das Hirn, sondern Bauch, Muskeln und endokrines System bestimmen mit, welche Entscheidungen wir treffen.

Viele Dinge, die wir wahrnehmen, laufen unbewusst ab. Unser ganzer Körper ist voll mit Sensoren, die ständig unsere Umwelt scannen und bewerten: chemische Rezeptoren sammeln und tauschen bspw. Informationen über unseren Stoffwechsel, Hormonstatus, Blutdruck, PH-Level und Gas-Konzentration untereinander aus. Muskeln, Bänder, Sehnen und Bindegewebe sind übersäht mit sogenannten Propriozeptoren, die dem Rückenmark und Gehirn Auskünfte über unsere Position im Raum geben und Bewegung kontrollieren. Unsere Haut selbst ist ein einziges großes Wahrnehmungsorgan. Und auch über unsere Hände und Füße treten wir in Kontakt mit unserer Umwelt.

Auch wenn wir in unserer rationalen Welt die Dinge manchmal gerne anders sehen wollen, so ist es nicht von der Hand zu weisen, dass unser Körper unser engster Verbündeter ist.

Wir mögen nicht mehr so sehr auf ihn angewiesen sein, um unser Überleben zu sichern, aber wir können unsere biologischen Wurzeln nicht vergessen.

Wir müssen dieses Gefühl der Intimität wiederherstellen, wieder Vertrauen in unsere Körper entwickeln und eine harmonische Beziehung zwischen Körper und Geist anstreben.

Das kann uns nur gelingen, wenn wir anerkennen, dass wir uns von der Natur her nicht wesentlich von Tieren unterscheiden. Unsere Aufgabe besteht darin, wieder Kontakt zu unserer „wilden Seite“ zu knüpfen und ihr das geben, was sie braucht. Und dazu gehört BEWEGUNG!

 

Bewegung ist das Werkzeug schlechthin, wenn es darum geht, die Gehirnfunktion zu verbessern.“ – John Ratey (Spark: The Revolutionary New Science of Exercise and the Brain).

 

Im nächsten Artikel will ich das Thema weiter vertiefen und auf die verschiedenen Formen der Bewegung eingehen.

Bis dahin könntest du dir selbst die Frage stellen, welche Beziehung DU zu DEINEM Körper pflegst? Siehst du ihn als deinen wichtigsten Begleiter oder ist er nur ein schmuckes Fahrwerk für deinen Verstand?

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