Ein bewegter Alltag und eine persönliche Bewegungspraxis

Wir Menschen sind für Bewegung gemacht.

Und doch sieht die traurige Realität so aus, dass sich die wenigsten von uns in ihrem Alltag ausreichend bewegen.

Weniger als die Hälfte der europäischen Bevölkerung erfüllt die Aktivitätsempfehlung der WHO:

Nicht einmal 50% der erwachsenen Menschen kommt auf 150 Minuten Aktivität pro Woche. Bei den Kindern sieht es nicht besser aus: der Großteil schafft es nicht, die empfohlenen 60 Minuten pro Tag aktiv zu sein.

6 von 10 Personen über 15 Jahren treiben keinen Sport und mehr als die Hälfte ertüchtigt sich in keinerlei Art in körperlicher Weise (darunter fallen Aktivitäten wie Radfahren, Tanzen oder Gartenarbeit).1

Den Großteil seiner Zeit verbringt der Durchschnittsmensch mit Inaktivität:

Eine Studie der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2016 ergab, dass die Menschen hierzulande durchschnittlich 6,5 Stunden täglich im Sitzen verbringen, mehr als jeder Fünfte kommt sogar auf neun Stunden und mehr.2

Die Dunkelziffer mag allerdings noch höher liegen. Schließlich war die Studie so aufgebaut, dass lediglich 1.210 deutschsprachige Personen ab 18 Jahren zu ihrem Bewegungsverhalten in Alltag, Freizeit und Beruf befragt wurden (dabei sollte der Querschnitt der volljährigen Bevölkerung in Deutschland repräsentiert werden). Die Angaben waren freiwillig und wurden nicht überprüft oder überwacht. Wenn man sieht, wie schwer sich die meisten Menschen mit Selbsteinschätzung tun, so liegt auch hier der Verdacht nahe, dass die Angaben ungenau sind.

Die meisten Menschen arbeiten heutzutage in einem Bürojob. Dort verbringen sie bereits 6-8h pro Tag sitzend. Dazu kommt die Zeit, die sie im Sitzen ihre Mahlzeiten zu sich nehmen, auf dem Sofa sitzen, lesen oder Fernsehen schauen. Die tatsächliche tägliche Sitzzeit fällt in der Realität höchstwahrscheinlich noch höher aus. Man wird mit Fug und Recht behaupten können, dass der Alltag des Großteils der Bevölkerung vom Sitzen dominiert wird.

Die Folgen dieser Inaktivität sind desaströs. Inaktivität und Überernährung führen dazu, dass der Körper mit Energie überfrachtet wird: rund 67% der Männer und 53% der Frauen sind übergewichtig, 23% der Männer und 24% der Frauen sind gar adipös.3

Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes sind dann nicht mehr weit. Aber auch stressbedingte Erkrankungen wie Burn-out werden durch Inaktivität gefördert.

Endstation Burn-out:

Deadlines, Terminstress und weitere mentale Belastungen prägen den Alltag vieler Menschen heutzutage. In solchen Situationen schüttet unser Körper vermehr Stresshormone aus, um uns dafür zu wappnen durch Kampf oder Flucht dieser Stresssituation zu entkommen. Doch dazu kommt es nicht, denn als erfolgreich gilt derjenige, der trotz Stress funktioniert und ruhig bleibt. Unser Körper hingegen ist darauf nicht programmiert und so verbleibt er so lange in Alarmbereitschaft, bis er gekämpft hat oder geflüchtet ist.

Die Crux ist, dass sich Stresshormone nicht selbst zurück regulieren: zusätzlicher Stress führt zu noch mehr Ausschüttung der Stresshormone. Die Folge ist, dass der Mensch früher oder später ausbrennt: Endstation Burn-out.

Inaktivität macht uns krank

Unser Alltag und die damit verbundenen Herausforderungen mögen sich stark von dem unterscheiden, was unsere Vorfahren erlebten. Genetisch liegen wir aber nicht weit voneinander entfernt. Die Steinzeit steckt uns nach wie vor in den Knochen. Unsere Körper sind einfach (noch) nicht an die Moderne angepasst.

Die Aufgabe besteht nun also darin, die Moderne so zu gestalten, dass sie den Bedürfnissen unseres Körpers entspricht.

Es ist demnach unabdingbar, Bewegung in unser Leben zu implementieren.

Hier möchte ich auf zwei Möglichkeiten eingehen, wie dies gelingen kann:

  1. Mehr trainingsunabhängige Aktivität im Alltag
  2. Das Etablieren einer regelmäßigen Bewegungspraxis

Ein „bewegter Alltag“:

Die Lösung kann nicht alleine darin liegen, 2-3 Mal pro Woche in einem Fitnessstudio ein Trainingsprogramm abzuspulen.

Fitnessstudios sind eine Erfindung der „Neuzeit“. Diese sollen die Lücke füllen, den unser bewegungsarmer Alltag geschaffen hat. Wir „trainieren“, um sicherzustellen, dass wir auch ohne „alltägliche Bewegung“ funktionsfähig bleiben. Wir glauben Cardio- und Isolationstraining an Maschinen seien die Lösungen gegen die wachsenden Quoten von Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck, Burn-out.

Training ist allerdings (ebenso wie eine Diät im Übrigen) wirkungslos, wenn es nicht mit einem aktiven Lebensstil verbunden wird.

Selbst wenn wir der Aufforderung der WHO folgen leisteten und uns an 6 Tagen die Woche für 25 Minuten bewegten, würden das gerade mal 2,6 % des Tages (im Wachzustand) ausmachen. Die restlichen 97,4 % des Tages verbrächten wir weiterhin völlig inaktiv…

Die Wirkung einer solchen Vorgehensweise verpufft also relativ schnell. Zumal, wenn man bedenkt, dass „Sport nicht geeignet ist, die negativen Effekte langen Sitzens auszugleichen. Das Einzige was gegen langes Sitzen hilft: nicht lange sitzen“. 4

Back to the roots:

Tiere in freier Wildbahn kennen weder Fitnessstudios noch Trainingspläne. Und trotzdem besitzen sie die perfekte Mischung aus Kraft und Ausdauer, die sie benötigen. Sie brauchen kein „Training“; die Art und Weise wie sie leben, hält sie in Form.

Moderne Errungenschaften helfen uns, Energie zu sparen. Vieles ist nützlich, aber unsere Körper brauchen gerade diese Momente, in denen sie Energie verbrauchen „dürfen“.

Würden wir Menschen nun jegliche Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten aus unserem Leben entfernen, würden wir feststellen, dass alles hart und anstrengend ist. Hätten wir keine Autos, keine Kinderwägen, keine Tische und Stühle, bräuchten wir deutlich mehr Kraft, Beweglichkeit und Ausdauer, um unseren Alltag zu bewältigen.

Natürlich müssen wir nicht zurück in die Steinzeit, aber wir könnten unseren Alltag durchaus aktiver gestalten.

NEAT – Non-Exercise-Activity-Thermogenesis oder zu Deutsch: Nicht-Trainings-Aktivitäts-Thermogenese:

Thermogenese ist die Wärmebildung unseres Körpers. Je mehr Wärme unser Körper abgibt, desto mehr Energie wird in ihm verbrannt.

Training ist eine Möglichkeit, die Wärmeproduktion des Körpers zu steigern. Eine andere ist trainingsunabhängige Aktivität des Alltags.

Wie oft, wie viel am Tag kann man trainieren? Selbst einem Hochleistungssportler sind diesbezüglich Grenzen gesetzt. Tägliche Aktivität hingegen ist etwas, das jeder einzelne von uns in seinem Lebensalltag optimieren kann.

Wie kannst du deinen Tag AKTIVER gestalten?

  • Du könntest die Treppe statt des Fahrstuhls nehmen.
  • Du könntest deinen täglichen Einkauf zu Fuß oder mit dem Rad erledigen.
  • Du könntest dich mit deinem Freund/deiner Freundin zum Spaziergang statt in einem Café treffen.
  • Du könntest dein Auto einen Block von deiner Arbeitsstelle entfernt parken und den Rest laufen.
  • Du könntest dich an deine Schulzeit erinnern und 5-minütige Pausenzeiten in deinen Arbeitsalltag einbauen, in denen du aufstehst, dich ein wenig bewegst und streckst.
  • Du könntest mit deinen Kindern / deinen Haustieren gemeinsam raufen und spielen, statt ihnen dabei zuzuschauen.
  • (…)

Bewegung kann damit ein „integraler Bestandteil“ des Lebens werden. Auf diese Weise nützt sie uns und unserem Leben.

Am Widerstand wachsen:

Mehr tägliche Aktivität ist daher ein wichtiger Schritt zu mehr Gesundheit und Wohbefinden. Aber selbst wenn wir mehr zu Fuß gehen und weniger Auto fahren, bleibt ein Problem: nämlich, dass unser moderner Alltag uns kaum mit komplexen Bewegungsherausforderungen konfrontiert. Wir bewegen uns stets in einem „vorhersehbaren und sicheren“ Umfeld (wie z.B. asphaltierte und ebene Straßen).

Und so ist es kein Wunder, dass die Menschheit immer träger kränker, energieloser und untrainierter wird. Und wenn wir nichts daran ändern, wird dieser katastrophale Zustand immer schlimmer.

Daher ist ein komplementäres Training, eine feste Bewegungspraxis nahezu unabdingbar, wollen wir nicht noch tiefer in die Abwärtsspirale geraten. Wachstum erfolgt nur durch Widerstand. Nur was fordert, macht stark. Und möchte nicht ein jeder von uns ein nützlicher Mensch sein? Dies kann nur gelingen, wenn man stark genug ist, um den Anforderungen des Lebens zu trotzen.

Angesichts immer mehr auftauchender Fitnesstrends ist die Verwirrung groß, welches Training nun das Beste sein mag. Wir glauben, die Art der Bewegung sei egal. Sport, egal welcher Art und Intensität, wird uns schon helfen, „fit“ zu bleiben und die Lebensqualität zu steigern.

Viele quälen sich – beflügelt von diesen Glaubenssätzen – in ein Fitnessstudio und folgen mechanisch den Anweisungen des Trainingsplans. Freude empfinden sie dabei nicht.

Der Sport ist eine Sache, die, wie bspw. das Zähneputzen eben gemacht werden muss. Emotionsloses Training wird aber kaum Früchte tragen.

Wir brauchen gerade diese Emotionen, das Erfülltsein mit Drang und Leben, wollen wir unser inneres Feuer entfachen.

Hat der Körper ein Ziel, so wird er fit werden:

Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer“ – Antoine de Saint-Exupéry

Wir müssen uns nicht mehr bewegen, um zu über-leben. Aber wir alle können Bewegung nutzen, um unser Leben zu be-leben.

Wenn das Ziel also nicht mehr Überleben lautet, dann obliegt es jedem selbst, eigene, andere Ziele zu finden.

Für den einen mag das tatsächlich darin liegen, Gewicht zu verlieren, damit er seinen Alltag müheloser gestalten kann. Ein anderer möchte sich vielleicht körperlich in die Verfassung bringen, dass er mit seinen Enkeln Schlittenfahren gehen kann. Ein Dritter möchte eine Alpenüberquerung in Angriff nehmen und sich dafür in Form bringen.

Wie man sieht, sind solche Ziele alleine durch Erhöhung der alltäglichen trainingsunabhängigen Aktivitäten nicht zu erreichen. Unser Alltag weist nur eine begrenzte Relevanz zu diesen Herausforderungen auf. Daher ist es erforderlich, sich selbst mehr Widerstand mit gezieltem Training auszusetzen, um die Anpassungsfähigkeiten des Körpers zu verbessern.

Die persönliche Bewegungspraxis ist dein Umgang mit Bewegungsherausforderungen, die durch dich oder deine Lebenswelt an dich gestellt werden. Der Alltag ist der Kontext, in dem Bewegung stattfindet. Welchen Belastungen bist du im Alltag ausgesetzt?“ – Sascha Fast

Das Training sollte dir mithin diese Werkzeuge liefern, dass du befähigt bist, die Belastungen „deines“ Alltags/Lebens zu meistern. Optimalerweise hilft es dir also dabei, deine individuellen Ziele zu erreichen.

„Zumba“ mag der letzte Schrei sein und das Fitnessstudio um die Ecke mag mit „unschlagbaren Angeboten“ werben. Aber weder Zumba noch Fitnesstraining an Geräten erfüllt dich mit einem gewissen Sinn und der einzige Motivator ist dein schlechtes Gewissen: diese Art der Bewegungspraxis kann dann auch nicht nachhaltig sein.

Was ist es, was du mit Sport und Bewegung erreichen willst? Wofür bist du bereit, Zeit und Energie zu investieren?

Die Antwort auf diese Fragen kann nur jeder selbst für sich beantworten. Und vielleicht erfordert es ein wenig Recherche und Experimentieren, ehe man etwas gefunden hat, für das man sich begeistern kann. Entweder, weil man ein klares Ziel verfolgt oder, weil einen die Sache selbst mit Spaß und Freude erfüllt.

Kinder jedenfalls bewegen sich noch, weil sie dabei Spaß haben und tun dies oft intuitiv. Was hast du als Kind gerne gemacht? Vielleicht könntest du dieses Hobby wieder aufnehmen?

Oder vielleicht hast du ein Ziel, das du körperlich unbedingt erreichen möchtest. Dann kannst du dich von diesem Wunsch leiten lassen, der dich mit Freude erfüllt, wenn du an sein Erreichen denkst. Auch Unangenehmes wird dann plötzlich möglich und kann sogar Spaß machen.

Statt guter Neujahrsvorsätze kannst du also ein wenig Introspektion betreiben und dich damit auseinandersetzen:

  • Wie kann ich mich im Alltag mehr bewegen
  • Wie könnte *meine* Bewegungspraxis aussehen?
  1. www.euro.who.int/en/health-topics/disease-prevention/physical-activity/data-and-statistics/10-key-facts-on-physical-activity-in-the-who-european-region
  2. www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&ved=2ahUKEwiVgt_Oz5ffAhWCmLQKHayBCsEQFjAAegQIBxAC&url=https%3A%2F%2Fwww.tk.de%2Fresource%2Fblob%2F2033598%2F9f2d920e270b7034df3239cbf1c2a1eb%2Fbeweg-dich-deutschland-data.pdf&usg=AOvVaw3ez92O_ZEfIn1Q6gHw4f6J
  3. www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&ved=2ahUKEwjLiKzB0pffAhUGKuwKHRkzADQQFjAAegQICRAC&url=https%3A%2F%2Fwww.rki.de%2FDE%2FContent%2FGesundheitsmonitoring%2FStudien%2FDegs%2Fdegs_w1%2FSymposium%2Fdegs_uebergewicht_adipositas.pdf%3F__blob%3DpublicationFile&usg=AOvVaw3CcuYW5AgibWmbK0c1nnJm
  4. (Emma Wilmot; Studie der Universität Leicester).

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