Die Illusion moderner Kommunikationsmittel

Wir loben die tollen Möglichkeiten, die die moderne Technologie mit sich bringt und wollen deren Annehmlichkeiten nicht mehr missen. Gerade hinsichtlich der Kommunikation ist heute vieles leichter und einfacher als früher.

Den Großteil meiner Jugend habe ich ohne Smartphone und Computer verbracht. Wollte ich mich mit jemandem verabreden, musste ich diesen Zeitraum bereits vorab verbindlich mit demjenigen in der Schule ausmachen. Wenn wir uns nicht persönlich treffen konnten, so blieb uns, zu telefonieren oder uns Briefe zu schreiben.

Verändertes Kommunikationsverhalten

Die Möglichkeit der unmittelbaren und spontanen Kommunikation war zunächst noch Utopie. Mit dem Aufkommen und der Verbreitung des Internets und der sozialen Medien änderte sich auch mein Kommunikationsverhalten. Sicher ist Vieles deutlich bequemer und zeitsparender geworden. Ich kann  einfach eine kurze Nachricht schicken, statt jemanden persönlich oder per Telefon erreichen zu müssen.

Mit diesen neuen Kommunikationsmitteln merke ich aber auch, wie sich dadurch meine eigene Erwartungshaltung geändert hat. So musste ich früher ein oder gar mehrere Tage auf eine Antwort warten, wenn ich meiner Freundin einen Brief geschrieben hatte. Heute steigt meine Ungeduld, wenn ich nicht innerhalb weniger Stunden eine Rückmeldung auf meine Email oder Nachricht erhalte. Mein Gehirn beweist, dass es über eine unglaubliche Anpassungsfähigkeit verfügt: wir sind so verdrahtet, dass wir schnell das liebgewinnen, was unmittelbare Befriedigung liefert. z.B. Die schnelle Reaktion auf meine Anliegen.

Was passiert nun mit uns und unserem Sozialleben, wenn Facebook, WhatsApp, Snapchat und Email die Kanäle werden, über die wir hauptsächlich miteinander kommunizieren?

Statt sich zu treffen, werden Nachrichten hin- und hergeschickt. Einen Vorteil verschafft dies dann, wenn ich dem anderen etwas „Schwieriges und Unangenehmes“ mitteilen muss. Das Risiko, „das eigene Gesicht verlieren“ zu können, wird dabei im wahrsten Sinne reduziert. So kostet es bspw. deutlich mehr Überwindung, seinem Gegenüber ins Gesicht zu sagen, dass man die Beziehung beenden möchte, als dies per digitaler Nachricht zu tun. Die Kommunikation wird unpersönlicher, es wird weniger wichtig, die Gefühle des Anderen zu achten. Und schnell entstehen so Missverständnisse, da Dinge unreflektierter geäußert werden können.

Fähigkeit zur Empahie kann verlorengehen

Die Fähigkeit zur Empathie kann darunter ebenso leiden. Um sich vorstellen zu können, wie eine Person aus seiner Perspektive eine bestimmte Situation erlebt, brauche ich Informationen über den Anderen. Wenn ich ihn und seine Situation ernsthaft verstehen will, muss ich ihm meine Aufmerksamkeit zollen. Der unpersönliche Kontakt bringt es mit sich, dass ich nicht sehen kann, wie er redet, wie seine Gestik und Mimik ist. So stellt sich die Frage, wie sehr es dann noch gelingen kann, wirklich mitfühlend zu sein.

Worin liegt der Wert einer Freundschaft?

Doch nicht nur die Empathie-Fähigkeit ist etwas, was durch die modernen Kommunikationsformen verlorengehen kann. Der Wert, der einer Freundschaft generell anheim liegt, droht, zu erodieren.

Freundschaft ist ein Gegenseitigkeitsverhältnis, das bedingungslos bestehen sollte. Dadurch, dass wir wissen, dass es dem anderen möglich ist, unmittelbar auf unsere Anfragen zu antworten, setzen wir ein solches Verhalten auch schnell voraus. Aus „du antwortest mir“, wird postwendend ein „du magst mich“. Die Konsequenz ist, dass das die eigene Wertschätzung mit dieser Gleichung verstrickt wird. Jede Antwort, jedes „Like“ wird zu einer Bestätigung des Selbst. Freundschaft geriert zu einem Abhängigkeitsverhältnis zu werden und auf der stillschweigenden Basis zu bestehen, sich wechselseitiger Anerkennung zukommen zu lassen.

Auf diesem Wege ist die Gefahr jedoch groß, sich selbst zu verlieren. Das eigene Verhalten wird so angepasst, um möglichst viele dieser belohnenden Ereignisse zu erhalten.

Eine solche Beziehung ist jedoch wenig nachhaltig. Wahre Freundschaft braucht Zeit.  

So antwortet der Fuchs dem Kleinen Prinzen, der auf der Suche nach Freunden ist, was es bedeutet, jemanden zum Freund zu gewinnen:

„Zähmen, das ist eine in Vergessenheit geratene Sache“, sagte der Fuchs. „Es bedeutet, sich ‚vertraut machen‘. Noch bist du für mich nichts als ein kleiner Junge, der hunderttausend kleinen Jungen völlig gleicht. Ich brauche dich nicht, und du brauchst mich ebenso wenig. Ich bin für dich nur ein Fuchs, der hunderttausend Füchsen gleicht. Aber wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen.“

Es kostet deutlich weniger Zeit, bedarf weniger Anstrengung, mit einem anderen Menschen nur auf „virtuellem Wege“ verbunden zu sein. Wer Früchte in der Zukunft ernten will, muss Opfer in der Gegenwart bringen. Opfere ich meine Zeit einem nahestehenden Menschen und verzichte dafür auf Gegenleistung, löse ich dieses Abhängigkeitsverhältnis auf. Damit kann dieses Verhältnis transformiert werden. Das eigene Tun bekommt mehr Bedeutung, geschieht es nicht aus reinem Selbstbestätigungszweck. Auch wenn es bedeutet, dass diese Art von Freundschaft verlangt, mehr Zeit in sie zu investieren.

Fähigkeit, Alleinsein zu können

Die permanente Verfügbarkeit von Kontakten führt dazu, dass wir zu einem Knotenpunkt in uns selbst gesponnener Netze werden. Wir nennen Hunderte von Personen auf Facebook unsere Freunde und haben jederzeit Alternativen zum Alleinsein. Und doch fühlen wir uns oft einsam, weil uns die Bedeutung dahinter fehlt. Die Fähigkeit, Für-Sich-Sein zu können, kann Freundschaften diese Bedeutung wiedergeben.

Nur, wer es auch mit sich selbst zu ertragen weiß, kann die Gesellschaft anderer Menschen genießen. Denn wenn niemand anders da ist, nehmen wir uns anders wahr. Darin liegt die Chance, uns als eigenständige Person zu erkennen, deren Wert nicht von Likes und Bestätigung Anderer abhängt. Die andere Person kann so zu einer Ergänzung und nicht zu einer Notwendigkeit werden.

Die große Illusion sozialer Medien

Hinter diesen sozialen Medien steckt die große Illusion, wir seien bedeutsam. Wir sind aber nicht so wichtig, wie wir glauben. Nicht jede Antwort, nicht jedes „Like“ bedeutet gleichzeitig, dass die Menschen uns für so „toll“ hielten, wie wir uns das erträumten.

Neue Technik bedeutet nicht außnahmslos „gut“

Natürlich genieße auch ich die Annehmlichkeiten, die diese unmittelbare Kommunikation mittels Smartphones ermöglichen und freue mich über ankommende Nachrichten. Aber nur weil eine neue Technik aufkommt, bedeutet das im Umkehrschluss nicht, dass diese nur Gutes mit sich brächte. So wie ein Künstler sich dazu entscheiden muss, welches Werkzeug ihm beim Erschaffen seiner Kunst dienlich ist, müssen auch wir uns fragen, welchen Nutzen uns diese Technik in unserem Leben bringen kann.

Demnach ist ein Werkzeug nur dann sinnvoll, wenn es uns hilft, unseren Zielen näher zu kommen. Nehmen wir als Ziel ein gelungenes Sozialleben: wäre es nicht wertvoller, die Freizeit (die ohnehin immer zu kurz zu sein scheint) mit den Menschen bei einem Gespräch, Kaffee, Spaziergang zu verbringen, statt damit, die Profile vermeintlicher Freunde auf Facebook zu „checken“ und deren Aktivitäten zu „liken“?

Gelungene Sozialkontakte gedeihen, wenn ihnen Tiefe und Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Etwas, das soziale Medien uns nicht bieten können. Sie sind so konzipiert, dass sie uns und unsere Aufmerksamkeit fesseln möchten. Sie lassen uns direkte und unmittelbare Genugtuung erfahren, indem Kontakte und Antwortmöglichkeiten jederzeit verfügbar sind. Damit liegt in ihnen ein großes Potential, uns süchtig werden zu lassen. Es geht weniger um den Inhalt einer Nachricht als um die Nachricht an sich.

Bewusste Entscheidungen treffen

Es ist schwer, sich dem Bannkreis dieser Verlockungen zu entziehen. Daher versuche ich, bewusstere Entscheidungen zu treffen: besteht ein echtes Interesse an der Person, die ich zu kontaktieren suche oder ist es die Langweile, die mich dazu treibt?

Muss ich wirklich wissen, was andere Menschen machen und dazu deren Instagram und Facebook Profile verfolgen oder kann ich denjenigen nicht selbst bei einem Kaffee danach fragen?

Und auch umgekehrt: ist es wirklich von Bedeutung, dass ich eine sofortige Antwort bekomme oder kann ich warten, weil ich weiß, die Freundschaft hängt nicht von der Geschwindigkeit der Antwort ab?

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