Du sitzt in deinem Auto und denkst dir nichts Böses. Plötzlich poppt ein rotes Symbol im Display auf. Rot, das kann nichts Gutes heißen. Deine Alarmglocken schrillen, du fährst rechts an und wühlst panisch im Handbuch, um herauszufinden, was das nun bedeuten mag. Die Antworten sind unbefriedigend: dir ist klar, dass das darauf hinweist, dass etwas nicht stimmt. Aber du brauchst dein Auto. Du bist ohnehin schon spät dran und willst noch einkaufen, zum Sport. Aber dort steht es, schwarz auf weiß: nicht weiterfahren, sofort eine Werkstatt konsultieren. Mürrisch akzeptierst du, was da steht und verabschiedest dich von deinen Plänen. Die nächsten zwei Stunden wirst du damit verbringen, auf den Mechaniker zu warten, der mit ein paar wenigen Handgriffen dein Auto wieder zum Laufen bringt.
Die Erleichterung darüber, dass das Auto wieder fährt überwiegt schließlich deinen Ärger. Was sein muss, muss eben sein. ´Es wäre fahrlässig gewesen, das Alarmsignal zu ignorieren. Ich will schließlich kein neues Auto kaufen müssen` denkst du, während du deine Schläfen massierst – seit Wochen schon hast du diese vermaledeiten Kopfschmerzen. Mit deinen zerkratzten und rissigen Händen umgreifst du das Lenkrad und betätigst die Zündung. Dieser Ausschlag an deinen Händen wird auch immer schlimmer… All das ist aber erstmal nebensächlich, denn Hauptsache, das Auto funktioniert wieder!
Natürlich ist es ärgerlich, dass sowas ausgerechnet jetzt passieren musste. Aber so ein Auto ist nun mal aufgrund all seiner Technik ein „kompliziertes Wesen“. Damit muss man schon sorgsam umgehen, will man dafür sorgen, dass es einen lange begleitet.
Hinsichtlich des Autos ist dir bewusst, dass du verantwortungsvoll damit umgehen musst. Dass du es sorgfältig und umsichtig zu behandeln hast. Du könntest die Alarmleuchten auch einfach ignorieren (oder überkleben) und weiterfahren, als sei nichts passiert. Aber nur ein verantwortungsloser Mensch würde sich so verhalten und er dürfe sich nicht wundern, wenn das Auto ihm dann auf kurz oder lang den Dienst versagt.
Dir kommt nicht in den Sinn, dass diese chronischen Kopfschmerzen, der immer wiederkehrenden Rückenschmerzen, der juckende Ausschlag an deinen Händen, ebenfalls Alarmsignale sein könnten. Signale, die darum kämpfen, dass du ihnen deine Aufmerksamkeit widmest, wie du das deinem Auto gegenüber auch getan hast.
Warum behandelst du dein Auto als etwas, das wertvoller ist, als du selbst?
Klar, du hast einen Haufen Geld dafür investiert. Es soll eine Zeitlang halten und daher ist es an dir, dafür zu sorgen, dass es ihm „gutgeht“.
Bezüglich des Autos ist uns bewusst, dass diese nur eine begrenzte Lebensdauer haben. Pflichtbewusst gehen wir regelmäßig zur Inspektion. Wir lassen es auf Herz und Nieren überprüfen, selbst, wenn es in dem Moment reibungslos fährt und alles in Ordnung ist.
Hinsichtlich des Autos können wir die Endlichkeit erfassen, hinsichtlich unseres eigenen Lebens fällt es uns schwer. Ist das Auto kaputt, könnten wir ein neues kaufen. Aber auch ohne ließe es sich leben. Das eigene Leben aber, das gibt es nur einmal. Keiner kann es dir ersetzen oder auf die Werkseinstellungen zurücksetzen.
Die meisten von uns aber leben, als würden wir es auf ewig tun. Morgen ist doch auch noch ein Tag! Um die Kopfschmerzen, das Rückenleiden, den Ausschlag kann ich mich auch morgen kümmern, oder übermorgen oder überübermorgen…
Wir sind die selbsternannte „Krönung der Schöpfung“ und doch geht kein anderes Lebewesen derart arrogant, naiv oder ignorant mit sich und dem eigenen Leben um.
Nicht nur, dass wir somit permanent auf den „richtigen Moment“ warten, wir laufen auch Gefahr, dass aus einem Bagatell- ein Totalschaden wird.
Bei deinem Auto wartest du doch auch nicht so lange mit dem Ölwechsel bis der Motor streikt. Warum bist du dir selbst gegenüber so nachlässig?
Wir glauben, für alles ewig Zeit zu haben. Daher ignorieren wir so gerne die eigenen Alarmsignale. Wir akzeptieren, dass es uns schlecht geht, gehen mit Schmerzen durch die Welt. Um diese Dinge können wir uns dann kümmern, wenn wir „mal Zeit haben“ oder im nächsten Urlaub… Ist es aber nicht das, worum es geht: zu Lebzeiten zu leben? Für viele aber zieht das eigene Leben vorbei, während sie darauf warten, dass es endlich anfängt.
Die Realität ist, dass wir dem Tod jeden Tag ein Stückchen näherkommen. Sterben ist ein Prozess, der mit der Geburt beginnt und endet, wenn der letzte Atemzug getan ist.
Anders als bei unserem Auto haben wir den Experten für unser eigenes Leben stets dabei. Wir müssen nicht erst komplizierte Handbücher lesen oder externe Kräfte zu Rate ziehen. Ein jeder von uns ist allein der Experte für sich selbst.
Wir müssen wieder lernen, ebenso Verantwortung für unser eigenes Leben zu übernehmen, wie wir das auch für unser Auto tun! Dazu müssen uns selbst und die Signale, die unser Körper, unsere Psyche uns senden, ernst nehmen.
Wir können sie aber auch ignorieren, abwarten, bis sie sich von selbst erledigen. Doch das kann genau wie das Überkleben der Alarmleuchte im Auto nur eine temporäre Lösung sein. Deswegen sollten wir handeln, solange die „Probleme“ noch klein sind. Solange der Drache noch ein Baby ist und er nur ein Feuerchen spucken kann, das eine Kerze zu entzünden könnte. Wenn wir warten bis er ausgewachsen ist, wird ein Husten ausreichen, das ganze Haus in Brand zu setzen.
Es ist an der Zeit, das eigene Leben, das eigene Selbst einer Inspektion zu unterziehen.
Die meisten von uns erkennen die Komplexität des eigenen Autos an. Es ist einleuchtend, dass alle Teile zusammenpassen und zusammenarbeiten müssen, damit es funktioniert und fährt. Daher beschränkt sich die Inspektion auch nicht auf die Untersuchung der Karosserie.
Mag sein, dass von außen alles tadellos aussieht, aber wenn der Motor einen Schaden hat, dann ist das ganze Auto, so schön es aussehen mag, eigentlich Schrott!
Wir übersehen aber gerne, dass wir als „System Mensch“ an der Spitze der Komplexitäts-Leiter stehen.
„Komplex“ meint dabei nicht „kompliziert“, wie das im heutigen Sprachgebrauch oft aufgefasst wird. „Komplex“ ist gleichbedeutend mit „höher entwickelt“. Ein komplexes System ist dabei ein System, in dem die einzelnen Teile trotz ihrer Verschiedenheit als Einheit auftreten. Sie stehen in einem organischen Zusammenhang und arbeiten in Harmonie zueinander.
Komplexität entsteht durch Differenzierung und Integration:
Differenzierung meint dabei das Ausmaß wie ein System sich aus verschiedenen Unter- oder Teilsystemen zusammensetzt. Integration bezieht sich darauf, wie gut diese verschiedenen Teile sich gegenseitig unterstützen.
Der menschliche Körper beispielsweise verfügt über verschiedene Subsysteme; wir haben ein Nerven-, ein Muskel-, ein Hormon-, ein Verdauungs-, ein Lymph-, ein Atmungs-, ein Urogenital- und ein Herz-Kreislaufsystem. Diese Systeme arbeiten unabhängig voneinander und jedes hat seine eigene Aufgabe. Aber erst im Zusammenspiel kann das entstehen, was wir sind: der Mensch, ein wahres Wunderwerk der Natur.
Treten nun in einem der Bereiche Probleme auf, so kann sich das auf verschiedene Art und Weise äußern. Ein „Zuviel“ an Stress kann unterschiedliche Symptomen haben. Das hängt davon ab, in welchem der einzelnen Systeme noch Kapazitäten frei sind.
So können sich Symptome nach einem Sturz vom Rad (auch das ist eine Form von Stress) höchst unterschiedlich manifestieren. Um den physischen Teil (das Muskel- und Skelettsystem) zu schützen, könnte z.B. das hormonelle System angesprochen werden. Der Patient mag vielleicht keinerlei Schmerzen im Bewegungsapparat verspüren, aber seit dem Unfall plagen ihn Schlafstörungen…
Angebracht ist demnach eine ganztheitliche Betrachtungsweise.
Machen wir nicht denselben Fehler, den die meisten Ärzte heutzutage machen, indem sie statt den Ursachen nur die Symptome bekämpfen. Wenn wir wirklich wissen wollen, wie es um das eigene Selbst bestellt ist, müssen wir schonungslos alle Bereiche offenlegen und untersuchen. Nur so können wir der Komplexität des Lebens gerecht werden.
Differenziert sind wir von Natur aus. Nun ist es an uns, Integrität herzustellen.
Nehmen wir zum Beispiel die Gesundheit. Vielleicht setzt du diese mit gesunder Ernährung gleich. Du nimmst folglich deine Essgewohnheiten unter die Lupe, um herauszufinden, wie „gesund“ du bist:
Du meidest Fastfood, Süßigkeiten und Alkohol und kochst selbst mit frischen, regionalen und saisonalen Zutaten. Alles in allem ernährst du dich gesund. Folglich müsstest du dich auch bester Gesundheit erfreuen. Die Fettpölsterchen am Bauch und die Kurzatmigkeit sprechen aber eine andere Sprache.
Du gräbst ein wenig tiefer und du stellst fest, dass du nicht nur im Berufsalltag überwiegend sitzt, sondern auch deine Freizeit hauptsächlich damit zubringst, auf der Couch zu entspannen. Du arbeitest viel, schläfst zu wenig und fühlst dich permanent energielos. Daher legst du auch die kürzesten Fahrtstrecken mit dem Auto zurück, statt zu laufen.
Du ernährst dich mithin besser als die meisten deiner Mitbürger. Dieser Parameter alleine aber entscheidet nicht über das Vorliegen von Gesundheit. Bereiche wie den der Bewegung und der Ruhe vernachlässigst du. Du förderst deine Gesundheit durch bessere Ernährung, schadest ihr aber nach wie vor durch mangelnde Bewegung und fehlendem Ausgleich auf der Stressachse. Du hast die unterschiedlichen Bereiche nicht in Harmonie zueinander gebracht. Sie sind nicht integriert.
Harmonie und damit Komplexität erreichst du erst, wenn du diese Widersprüche auflöst.
„Gesundheit“ wird von mehreren Säulen getragen. Ist jede einzelne von ihnen in sich stabil genug? Und ist die Last gleichmäßig unter ihnen verteilt?
Die verschiedenen Lebensbereiche müssen in einem Gesamtzusammenhang stehen und sich gegenseitig ergänzen.
Im Gleichgewicht sein:
Das bedeutet, dass jedes Subsystem für sich Aufmerksamkeit verdient. Ziel ist es, zunächst in ihm Ordnung zu schaffen. Danach kann man daran gehen, die unterschiedlichen Bereiche so miteinander arbeiten zu lassen, dass schließlich im „großen Ganzen“ Harmonie herrscht.
Harmonie lässt sich nämlich nur dann erreichen, wenn sich die Dinge im Gleichgewicht befinden. Alles hat zwei Extreme. Schon im Taoismus ist die Rede von einer Yin- und einer Yang-Seite. Das „Tao“ – das Gleichgewicht, in dem die entgegengesetzten Kräfte perfekt zusammenspielen und in Harmonie miteinander sind – befindet sich in der Mitte dieser beiden Extreme.
Will man das „Tao“ verstehen und finden, muss man untersuchen, was zwischen den beiden Extremen liegt.
Nehmen wir das Beispiel der Nahrungsaufnahme: wie lange kannst du auf Nahrung verzichten, ohne zu verhungern? Auf der anderen Seite, wie viel kannst du essen, bis dein Körper rebelliert?
Im Extrem können wir uns nicht ewig aufhalten und keines der beiden Extreme kann für sich alleine bestehen.
Ein Pendel kann uns das gut veranschaulichen: wenn wir es betrachten, so sehen wir, dass es nur einen kurzen Augenblick in seiner äußersten Position verweilen kann. Im Ruhezustand hingegen kann es ewig bleiben.
Im Extrem gehen wir an unsere Grenzen. Es verbraucht Energie, zwischen den Gegenpolen hin- und herzuschwingen. Je mehr wir uns von unserem Zentrum entfernt haben, desto ineffizienter werden unsere Handlungen.
Harmonie besteht also dann, wenn wir unser Gleichgewicht im Zentrum finden.
Wenn wir weder hungrig sind, noch wenn wir kotzend über der Kloschüssel hängen, weil die Augen mal wieder größer waren als der Magen. Besser und gesünder wäre es also, dann zu essen, wenn wir hungrig sind und damit aufzuhören, wenn sich ein Sättigungsgefühl einstellt. Dann, wenn unsere Ernährung uns mehr Kraft gibt als sie uns raubt, wir uns nicht in einem der beiden Extreme befinden.
Dieses Gleichgewicht können wir nur dann finden, wenn wir diese Gegensätze anerkennen. Das Yin und Yang Symbol verweist auf die innere Dynamik, die im Gesamtsystem vorherrscht. Diese Dynamik sorgt dafür, dass wir beides brauchen: Phasen, in dem wir Hunger empfinden und Phasen, in denen wir satt sind.
Das Ziel ist es, keine dieser Gegensätze überwiegen zu lassen, sondern dafür zu sorgen, dass die Kräfte ausgewogen sind.
Die Ernährung ist aber nur winziges Mosaikstückchen des Lebens. Damit am Ende ein stimmiges Gesamtbild entstehen kann, müssen alle Bereiche ihre Berücksichtigung finden.
Wie ist es um deine Ernährung bestellt? Bewegst du dich ausreichend oder gar zu viel? Wie sieht es in deinem sozialen und beruflichen Umfeld aus? Bist du ausgeglichen oder arbeitest du am Rande des Burnouts? Verbringst du deine Freizeit mit Menschen und Tätigkeiten, die dich nähren oder mit solchen, die dir Energie rauben?
All diese Faktoren bestimmen, wie es dem „System Mensch“ im Ganzen geht. Herrscht irgendwo eine Schieflage, so kann das eine System unter Umständen nicht richtig arbeiten oder ein anderes muss für es einspringen.
Die folgenden Blog Beiträgen könnten vielleicht der Stein des Anstoßes sein, dass du dich künftig genauso pfleglich behandelst wie du das mit deinem Autos tust. Bis dahin kannst du dich schon mal fragen, welche Bereiche deines Lebens besonders einer Inspektion bedürften…
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