Sitzen oder Stehen – die Mischung macht´s

Unser Alltag und unsere moderne Lebensweise bringen es nicht selten mit sich, dass wir einen Großteil des Tages in sitzender Position verbringen müssen. Vielerorts wird daher bereits davon gesprochen, Sitzen sei das neue Rauchen.
Ich würde nicht so weit gehen, die Auswirkungen des Sitzens mit einer nachweislich schädlichen Sache wie dem Rauchen zu vergleichen. Man wird nicht per se krank davon, auf einem Stuhl zu sitzen. Ebenso führte die Erfindung des Stuhles und die Möglichkeit, seine Arbeit im Sitzen zu erledigen dazu, dass stehende (Fließband-)Arbeit, die nicht selten Rücken-, Fuß- oder Knieschmerzen zur Folge hatte, reduziert werden konnte. Was das eigentliche Problem darstellt ist meiner Meinung die Tatsache, dass wir Tätigkeiten oder Positionen derart repetitiv ausüben, dass unsere Körper in hohem Ausmaß damit konfrontiert werden und mit Verschleißerscheinungen antworten. Einen weiteren Flaschenhals stellt darüber hinaus die damit einhergehende Inaktivität dar, da wir stundenlang in ein und derselben Position verharren.

Inaktivität = unzureichend funktionierendes Herz-Kreislauf-System?!

Bewegung ist jedoch notwendig, damit unsere Muskeln und das Körpergewebe mit Sauerstoff versorgt und Abfallprodukte abtransportiert werden können. Diese Aufgaben übernimmt unser Herz-Kreislauf-System, dessen Hauptakteur unser Herz ist. Allerdings ist es verfehlt, das Herz-Kreislauf-System nur auf dieses eine Organ zu reduzieren, schließlich besitzen wir mehr als 100.000 km an Blutgefäßen, die ebenfalls an diesen Vorgängen beteiligt sind.

Wie funktioniert unser Herz-Kreislauf-System eigentlich?

Zunächst ist es das Herz, das sauerstoffreiches Blut in unsere Arterien pumpt. Arterien sind große Blutgefäße, die eine große Menge Blut über lange Distanzen transportieren können, so dass man hier eine Analogie zu Autobahnen ziehen kann. Von dort aus wird das Blut in kleinere Arterien, den sogenannten Arteriolen, und von dort weiter in die Kapillaren geleitet. Letztere sind winzig klein und man kann sie sich wie kleine Seitenstraßen vorstellen. Wichtig zu wissen ist, dass es nur die Kapillaren sind, die dafür sorgen können, dass die einzelnen Körperzellen ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden.

Nicht nur die unterschiedlichen Blutgefäße, auch die Muskulatur hilft bei der Sauerstoffversorgung der Zellen mit. Über einen Vorgang, der sich „Vasodilatation“ nennt, sorgt die umliegende Muskulatur dafür, dass sich die Arteriolen entspannen und das Blut in die Kapillaren gezogen werden kann. Allerdings findet dieser Vorgang nur dann statt, wenn die fraglichen Muskeln auch tatsächlich „Arbeit verrichten“, also genutzt werden.

Indem wir unseren Alltag hauptsächlich inaktiv verbringen, tragen wir dazu bei, dass diese Arbeitsteilung so nicht funktioniert. Wir nutzen tatsächlich nur knapp 25 % unserer muskulären Kapazität. Dies führt dazu, dass unser Herz zwar das Blut durch die Autobahnen pumpt, in Folge von Inaktivität der Muskulatur die Seitenstraßen aber nicht angesteuert werden. Das Resultat ist also, dass die Sauerstoffversorgung unserer Zellen daher ungenügend ist.

Inaktivität = Muskuläre Dysbalancen

Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit dem Sitzen ist, dass wir es in der Regel stets in der gleichen Haltung tun. Sei es am Schreibtisch, im Auto, am Küchentisch oder auf der Couch: Knie und Hüfte nehmen einen Winkel von ca. 90° ein, was bedeutet, dass einige Muskeln angespannt, also verkürzt werden, andere gedehnt, also verlängert werden. Wenn wir nun von unserer Sitzgelegenheit aufstehen und unsere Körper aufrichten, sollten sich die Muskeln in ihren Ruhezustand zurückbewegen, die verkürzten Muskeln sich verlängern, die gedehnten Muskeln sich wieder zusammenziehen. In der Realität sieht das allerdings oft anders aus. Indem unsere Körper wahnsinnig gut darin sind, sich an die Umweltbedingungen anzupassen, passiert dies eben auch dann, wenn wir es eigentlich nicht wünschen. Das primäre Ziel des Körpers ist es, Energie zu sparen. Dies zeigt sich darin, dass wir uns an die Positionen gewöhnen, die wir am Häufigsten ausführen und sich unsere Muskeln, Sehnen, Bänder und Gelenke danach ausrichten. Leider ist diese Tätigkeit bei vielen Menschen eben das Sitzen. Daher wundert es nicht, dass manche Menschen auch in aufrechter Position so aussehen, als säßen sie nach wie vor auf einem Stuhl: ein nach vorne geneigter Kopf, vorwärts gerollte Schultern, verkürzte Hüftmuskulatur.

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Die Folge: Mangelhafte Zellversorgung, schlechte Körperhaltung

Wie wir also sehen können führt repetitives Sitzen nicht nur dazu, dass wir zu viel Zeit mit Inaktivität verbringen, sondern auch dazu, dass unsere Muskulatur verkürzt und verkümmert, da wir stets die gleiche Haltung einnehmen. Unzureichende Sauerstoffversorgung unserer Zellen sowie unerwünschte Anpassungen in Form von schlechter Körperhaltung und muskulären Dysbalancen sind das Resultat.

Sollte man aber annehmen, es träte Besserung ein, wenn wir statt zu sitzen nur noch stehen würden, so zeigt eben gerade diese Fähigkeit unseres Körpers, sich an das anzupassen, was wir am Häufigsten tun, dass dies auch keine Lösung darstellen würde.

Abwechslung tut not

Das Ziel sollte also lauten, die Zeit, die wir mit Inaktivität verbringen, zu reduzieren und die Zeit, in der wir gezwungen sind, inaktiv zu sein, nicht nur in ein und derselben Position zu verharren, sondern eine möglichst große Bandbreite an unterschiedlichen Positionen einzunehmen.

„Variatio delectat“ (Abwechslung erfreut)

Unterschiedliche Positionen kann man dadurch einnehmen, dass man es sich angewöhnt, die Phasen des Sitzens, also der Inaktivität, mit kleinen Bewegungspausen zu unterbrechen.

Pomodoro-Technik

Als hilfreich hat sich die sogenannte Pomodoro-Technik erwiesen: danach stellt man sich einen Timer auf 25 Minuten, in denen man (sitzend) arbeitet, unterbricht diese Tätigkeit für ca. 5 Minuten, ehe man das Protokoll wiederholt. Auf diese Art und Weise bringt man immerhin 80 Min. Bewegung an einem 8h Tag unter!

In den Unterbrechungen sollte man einfach aufstehen und ein paar Schritte gehen. Sofern man hauptsächlich Tastaturarbeit an einem Computer ausführt kann man zusätzlich leichte Dehnübungen durchführen, die der Haltung entgegenwirken, die die Hände und Unterarme während des Tippens annehmen.

Dehnübungen

– Umgekehrte Bet-Haltung: Dabei winkelt man die Arme vor dem Körper auf Brusthöhe so an, dass sich die Außenseiten der Hand berühren – ganz so als würde man beten, nur, dass man die Hände anders herum hält. Im Idealfall berühren sich die Hände sowie die Finger komplett. Dann versucht man, die Hände und die Ellenbogen so nah wie möglich an den Körper zu bringen und hält diese Position für ca. 30 Sek.

– Finger-Dehnung: Einen Arm gerade nach vorne ausstrecken, so dass die Handfläche nach oben schaut. Dann mit der anderen Hand die vier Finger der ausgestreckten Hand nehmen und sanft nach hinten in Richtung des Körpers ziehen. Diese Dehnung für ca. 30 Sek. halten.

– Türrahmen-Dehnung: Man stellt sich in einen Türrahmen, nimmt beide Arme über den Kopf und „greift“ nach dem Rahmen über sich. In dieser Haltung verharrt man für ein paar Sekunden und versucht, die Dehnung im Oberkörper zu spüren.

Zudem verkürzen sowohl Hüft- als auch Wadenmuskulatur während des Sitzens, so dass mit diesen Dehnübungen Abhilfe geschaffen werden kann:

– Waden-Dehnung: Dafür benötigt man einen Stuhl, zu dem man sich in ca. zwei Schrittlängen entfernt hinstellt. Die Füße stehen parallel und die Knie sind durchgedrückt, aber entspannt. Nun lehnt man sich mit beiden Händen bei ausgestreckten Armen auf die Sitzfläche oder Lehne des Stuhles. Das Gewicht sollte auf den Fersen liegen und das Ziel sein, die Hüfte nach hinten zu bewegen und das Steißbein möglichst weit Richtung Decke zu bekommen, ohne dass die Knie gebeugt werden. Dabei sollte die Dehnung in den Waden und der hinteren Oberschenkelmuskulatur zu spüren sein. Die Dehnung kann für 30-60 Sek. gehalten werden, während man versucht, das Steißbein weiter nach „hinten oben“ zu bringen.

– Figure 4-Dehnung: Im Sitzen überschlägt man ein Bein, so dass bspw. der rechte Knöchel auf dem linken Oberschenkel ruht. Während beide Pobacken festen Kontakt mit dem Stuhl halten, versucht man, das rechte Knie so nach unten zu bewegen, dass es sich auf einer Höhe mit dem rechten Knöchel befindet. Diese Dehnung sollte man in der rechten Pobacke, genau im Piriformis Muskel spüren. Auch diese Position halten wir für ca. 30 Sek.

Diese Dehnübungen sind jedoch nur kleine Anregungen für Situationen, in denen man dem Sitzen nicht ausweichen kann. Das Ziel sollte aber lauten, sein Leben generell „bewegter“ zu gestalten. Unsere Zellen und unsere Körper werden es uns danken!

Welche „Positionen“ bestimmen deinen Alltag?

Was tust du, um Abwechslung zu schaffen?

Welche Möglichkeiten nutzt du?

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