Beweglichkeit und Körperspannung

Mein Ziel ist es, bis ins hohe Alter fit und beweglich zu sein. Beweglicher bin ich durch mein Training und meine Bewegungspraxis geworden, dennoch habe ich das Gefühl, ständig unter „Spannung“ zu stehen. Methoden wie Foam Rolling und Dehnen bringen mir zwar kurzzeitige Verbesserung und Linderung, aber das grundsätzliche Problem verspannter Muskulatur konnte ich damit bislang noch nicht beseitigen. Daher beschäftige ich mich mit der Frage, wo diese Anspannung herkommt und wie es möglich sein kann, beweglicher zu werden und gleichzeitig Spannung abzubauen.

Beweglichkeit

Um diesem Problem auf den Grund zu gehen, ist es zunächst einmal wichtig zu verstehen, was Beweglichkeit überhaupt ist. Beweglichkeit ist das physiologische Vermögen, den Körper mit minimalen Einschränkungen durch Gelenke und Muskeln zu bewegen. [1]. Dafür sind Flexibilität und Mobilität unerlässlich. Oft werden beide Begriffe synonym verwendet, das eine ist jedoch von dem anderen zu unterscheiden.

Mobilität vs. Flexibilität

Mobilität ist die Eigenschaft, sich und seine Gliedmaßen kontrolliert und aktiv in vollem Bewegungsumfang bewegen zu können, wohingegen Flexibilität eher eine statische Eigenschaft ist und oft mithilfe von Schwerkraft oder passiven Kräften erreicht wird. Wenn ein Mensch im aufrechten Stand versucht, eines seiner Beine im gestreckten Zustand so hoch wie möglich vor sich auszustrecken, so geschieht dies durch eine aktive Muskelanspannung und das Resultat dieser Übung zeigt, wie mobil er ist. Wenn die gleiche Bewegung nun aber nicht selbst aktiv durchgeführt, sondern das Bein von einer weiteren Person angehoben wird, ohne dass die Muskulatur der ausübenden Person angespannt wird, so testet man auf diese Weise die Flexibilität. Mobilität erfordert also einen Krafteinsatz, Flexibilität nicht. Eine Person kann demnach sehr flexibel sein, aber wenig mobil. Wie mobil wir sind ist entscheidend dafür, wie mühelos wir uns durchs Leben bewegen können. Mobilität ist demnach Flexibilität vorzuziehen. Sofern nämlich bestimmte Gelenke oder Teile unseres Körpers Mobilität vermissen lassen, bedeutet das, dass andere Teile diese Aufgaben mit übernehmen müssen: immobile Fuß- und Hüftgelenke bspw. führen dazu, dass die Kniegelenke mehr arbeiten müssen und folglich können diese sowie die umliegende Muskulatur überlastet werden und verspannen. Überlastete Muskulatur reagiert mithin dadurch, dass die Spannung in derselben erhöht wird, man spricht dann von einem erhöhten Muskeltonus.

Muskeltonus

Tonus (latinisierte Form von altgriechisch τόνος tonos, deutsch ‚Spannung‘ zum Verb τείνειν teinein, deutsch ‚spannen‘, ‚an-‘, ‚ausspannen‘) ist der „Spannungszustand der Muskulatur“. Prinzipiell ist immer ein gewisses Maß an Spannung (Tonus) im Körper notwendig. Ohne die sogenannte Grundspannung wäre es uns nicht möglich, eine aufrechte Körperhaltung einzunehmen. Wir könnten unseren Kopf ohne diese nicht aufrecht halten, ohne dass er immer wieder der Schwerkraft folgte und vornüberfiele. Um komplexere Bewegungsabläufe ausführen zu können, muss sich diese Spannung noch erhöhen, unsere Muskulatur Arbeit verrichten, also aktiv Spannung aufbauen. Man spricht dann von „aktivem Muskeltonus“. Dabei müssen die richtigen Muskeln zur richtigen Zeit angespannt werden. Problematisch wird die Sache dann, wenn die falschen Muskeln zur falschen Zeit aktiv sind und das u.U. sogar dauerhaft. Dann spricht man davon, dass im eigentlichen Ruhezustand ein erhöhter Muskeltonus herrscht. Dieses Szenario kann sich dann bspw. in sogenannten „Spannungskopfschmerzen“ zeigen, wenn die Rücken und Nackenmuskulatur einer Person durch immer gleiche Haltungen stark beansprucht und „verspannt“ ist.

Wie wir also sehen können, ist „nötige“ von „unnötiger“ Spannung zu differenzieren und das Ziel sollte es sein, letztere aus seinem Körper zu eliminieren.

Gründe für erhöhten Muskeltonus

Repetitive Tätigkeiten oder Haltungen führen dazu, dass gewisse Muskeln einer erhöhten Spannung ausgesetzt sind. Gerade die Schulter- und Nackenmuskulatur neigt durch das häufige und viele Sitzen dazu, zu verspannen.

Durch eingeschränkte Mobilität und die dadurch resultierenden Dysbalancen entsteht weiterhin Spannung an Stellen, die nicht erwünscht ist.

Allerdings sind das nicht alleinige Faktoren, die einen erhöhten Muskeltonus begünstigen. Auch psychische Belastungen, besonders seelische Anspannungen führen immer wieder zu Verspannungen, da bestimmte Muskeln dabei dauerhaft angespannt werden [2]. Gerade letzterer Punkt ist ein großes Problem unserer Zeit, da wir heutzutage viele Stresssituationen auf kognitiver Ebene erleben.

Mentaler Stress

Stressreaktionen, denen sich der Körper ausgesetzt sieht, führen dazu, dass eine Hormonkaskade in Gang gesetzt wird, die die Muskelspannung im Körper erhöht, bekannt unter dem sogenannten Fight-or-Flight-Syndrom. Fühlen wir uns bedroht, so schüttet der Körper bestimmte Hormone aus, die den Körper in einen Aktivierungszustand versetzen. Damit wird uns signalisiert, dass wir der Gefahr entweder mit Kampf oder Flucht begegnen sollen, um unser Leben zu schützen. In der Steinzeit war diese Bedrohung der Säbelzahntiger, der uns nach dem Leben trachtete, heutzutage sind Säbelzahntigern jedoch ausgestorben und tatsächlich sind 99% des erlebten Stresses mentaler Natur. Der Stress wird also weniger durch „reale Ereignisse“ verursacht, sondern vielmehr durch kognitive Aufgaben. Dem Körper jedoch ist es egal, ob die Quelle psychischer oder physikalischer Natur ist; er reagiert stets gleich, indem er die sogenannten Stresshormone aussendet, die uns in einen Zustand der „Übererregung“ versetzen. Prinzipiell ist ein solcher Zustand nicht problematisch, wenn er nur vorübergehend auftritt. Er kann sogar hilfreich sein, wenn wir bspw. eine berufliche Deadline einhalten müssen und somit zusätzliche Energien freigesetzt werden, diese Aufgabe zu bewältigen. Problematisch wird das Ganze aber dann, wenn wir uns dauerhaft in einem Zustand befinden, in dem der Körper denkt, es handle sich um eine „Alarmstufe-Rot-Situation“. Und gerade dieser Zustand ist heutztage aufgrund der vielfältigen Belastungen und Reizen omipräsent [3].

Körper und Geist als Einheit

Eine erhöhte Muskelspannung kann also aus körperlichem Stress oder insuffizienter Mobilität entstehen, aber auch das Resultat mentaler Belastungen sein. Die Vorstellung, Körper und Geist seien voneinander getrennt und arbeiteten damit unabhängig voneinander ist demnach nicht haltbar. Der Faszienexperte Robert Schleip konnte bei Rolfing Interventionen (Begriff für eine Methode der manuellen Körperarbeit, die ursprünglich als Strukturelle Integration bezeichnet wurde. Sie soll auf das Fasziennetz wirken und den Körper am Ideal der senkrechten Linie in der Schwerkraft ausrichten) [4] an narkotisierten Personen feststellen, dass die zuvor erfolgreiche Behandlung, die zu einer Verringerung der Spannung führte, verpuffte sobald der Patient aus der Narkose erwachte und er sich im alten Zustand wiederfand. Dies bestätigt die Vermutung, dass die sensorisch-neurale Komponente der Faszien eine ausschlaggebendere Rolle bei der Faszienarbeit spielt, als dies in vielen biomechanischen Erklärungsmodellen realisiert wird [5]. Kurz gesagt, Körper und Geist können nicht getrennt voneinander betrachtet werden, tiefe Entspannung ist nur dann möglich, wenn Körper und Geist präsent sind.

Damit zeigt sich, dass Foam Rolling und Dehnen alleine nicht den heiligen Gral darstellen, um dieser Probleme Herr zu werden. Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass ich durch diese Maßnahmen keine dauerhaften Erfolge erzielen konnte. Vielmehr liegt mein Schwerpunkt nun darauf, Wege zu finden, Körper und Geist beiderlei in gleichem Maße anzusprechen, um nachhaltigen Spannungsabbau zu bewirken.

Suche nach geeigneten Methoden

Mein Ziel unerwünschte Spannung abzubauen beginnt also mit der Suche nach Methoden, die sowohl den Körper als auch den Geist adressieren.

Den Anfang möchte ich damit machen, dass ich eine „Entspannungstechnik“ wie Meditation oder progressive Muskelentspannung implementiere. Daneben möchte ich mit verschiedenen Mobilitätsübungen arbeiten, um die Gelenkbeweglichkeit und Kraft in diesen Bereichen zu verbessern.

In den folgenden Beiträgen möchte ich euch an meinen Erlebnissen und Erfahrungen teilhaben lassen und über meine Fortschritte berichten.

Wie gehst du mit unerwünschter Spannung um?

Hast du eine Praxis, um Beweglichkeit und/oder Mobilität zu verbessern?

Hast du Erfahrung mit Entspannungstechniken? Wie wirkt sich diese auf deinen Körper aus?

  1. [1] Carl Paoli: Freee+Style, riva 2015, S.62
  2. [2] Linton SJ.: Do psychological factors increase the risk for back pain in the general population in both a cross-sectional and prospective analysis? Eur J Pain. 2005 Aug;9(4):355-61
  3. [3] M. Burnus, V. Steinhardt, V. Benner, A. Drabik, S. Stock: Stress und Muskelverspannung am Bildschirmarbeitsplatz. In: Prävention und Gesundheitsförderung. August 2012, Jahrgang 7, Ausgabe 3, S. 182–189
  4. [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Rolfing
  5. [5] Deutsche Zeitschrift für Osteopathie, (1) 2004; Hippokrates Verlag, S. 12

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